Die Architektur
Cornelia Krause: Ein Besuch
Als Architekturkritiker sollte man sich diesem Haus lieber nicht nähern.
Zu viele Ungereimtheiten bringen den konstruktiv denkenden Betrachter zur Verzweiflung.
Wer sich aber dennoch vom Äußeren nicht abhalten lässt und sich auch im Inneren nicht an grob behauenen Details stört, begreift sehr schnell, dass dieser Bau auch gar nicht für die Schlagzeilen der Fachzeitschriften gemacht ist. Vielmehr hat hier eine Lebensanschauung die Gestalt vorgegeben.
Die Gastlichkeit des Hauses macht dann auch die restlichen Vorurteile schnell vergessen. Für diejenigen, die sich hier an den Tisch setzen oder einkaufen, hat Ernährung einen besonders hohen Stellenwert.
Naturbelassenheit ist ein Schlagwort, dass auch für viele andere Gebrauchsgüter gilt – und letztlich für die Besucher selbst. Aufgetakelte Szenegänger sind nicht anzutreffen. Dazu trägt sicher auch die Stadtrandlage inmitten eines Industriegebietes bei. Da der Ort traditionsgebunden ist – die Waldorfschule und die Kirche der Christengemeinde liegt gegenüber – ist schwer zu entscheiden, ob die Insellage gewollt ist.
Eindrücke dieser Art jedenfalls machen sehr deutlich, dass Architektur nicht allein von technischer Ästhetik abhängig ist, dass sie einfach nur Raum sein kann für einen Inhalt, der sich über jeden Stil hinwegsetzt – ohne dabei an Wirkung zu verlieren.
Baumstark
Karlheinz Stoklas: Naturata-Laden, Restaurant und Hotel, Überlingen
Architekt: Imre Makovecz, Budapest
In Nebel getaucht – schemenhaft und leicht verdämmert – trat das Bauwerk in Erscheinung. Es macht auf mich den Eindruck, als wäre das schiffsrumpfartige Dach an den nachgebildeten Klippen des Bodenseeufers endgültig gestrandet. Der tote, kahle und geschälte Baumstamm am Eingang im Zentrum des Innenhofes erweckt durch sein starres In-den-Himmel-ragen unmittelbar den Wunsch nach einem lebendigen Gegenüber mit einem grünen Blätterdach, kraftvoll gewachsen – einfach baumstark!
Begeisterung für das Werk Imre Makovecz stand am Anfang dieses Projektes der Naturata GmbH. Die vor 36 Jahren begonnene Initiative mit Verkauf von Naturkost und Naturwaren mit einem integrierten Café suchte nach einer baulichen Form, um ihr Warenangebot und die tragende Philosophie anders und besser vermitteln zu können. Das Provisorium in der Baracke hatte ausgedient. Auf die Anfrage eine neue Hülle für Laden und Gastronomie in unmittelbarer Nähe zur Überlinger Waldorfschule und der Kirche der Christengemeinschaft zu entwerfen, sagte Makovecz freudig zu.
Mit dem Bauwerk ist beabsichtigt, über die Grenzen eines Fachgeschäfts hinaus, ein Marktleben zu ermöglichen. Das Haus ist vorwiegend in Holzbauweise durch ungarische Handwerker ausgeführt; aus statischen Gründen wurde allerdings teilweise Stahlbeton erforderlich. Zur Verwendung kamen ausschließlich heimische Hölzer.
Über einen großräumigen Vorplatz, der rechts und links von zwei überdachten Terrassen flankiert wird, betritt man zentral den Ladenbereich, der mit den erforderlichen Nebenräumen die ganze rechte Hälfte des Gebäudes einnimmt. Der Luftraum darüber ist bis zum Dach offen und lässt den Blick auf die tragenden Baumstrukturen bis in 9,0 m Höhe frei. Die Verkaufsfläche im Klippenimitat gerät zur kavernenartigen Nischen in denen man (nicht gebückt!) „Pilze“ suchen darf. Das Warenangebot wird nach Art des Hauses in Wein- und Holzkisten offeriert.
Die linke Hälfte des Gebäudes beherbergt das Restaurant mit Bar sowie Büro- und Aufenthaltsräume für das Personal. Neben vegetarischer Kost werden auch Gerichte mit Rind- und Geflügelfleisch aus Demeter- und Bioland-Höfen der Region geboten. Wie im Laden kann auch hier der Blick ungehindert in die Höhe schweifen. Der gesamte Dachraum ist mit Leinöl gestrichener Stülpschalung „vernagelt“.
Auf der Galerie im Obergeschoss – näher am Geäst der Baumstrukturen – sind sechs geräumige Gästezimmer untergebracht, die den Komfort eines Hotels bieten. Für die Ausstattung wurden ausschließlich Naturmaterialien verwendet.
Unbehauene und geschälte Baumstämme sind zum tragenden Element des Gebäudes geworden. Sie stehen eindrucksvoll da und tragen konstruktiv glaubwürdig das mit Biberschwänzen schuppenförmig gedeckte Dach. Durch die optisch bis unter das Dach reichende Verglasung entsteht – vom Innenhof her betrachtet – ein fast schwebendes Gebäude, ganz im Gegensatz zur erdenschweren und massiven Bauweise von Nord- und Ostseite. Die tragenden „Bäume“ lassen mit ihren verleimten Ästen die Idee eines bescheidenen Waldes vermuten, über den der gewichtige Schiffsleib gestülpt wurde.